Bollywood: Tanz
Bollywood Tanz:
Der Tanz hat in Indien eine lange Tradition, schon im Sanskrit-Theater gehörten Musik und Tanz dazu. Auch im Kino wird an dieser Tradition festgehalten. Ein indischer Film ohne Sing- und Tanzszenen wird auf dem heimischen Markt nicht gut ankommen - solche Filme werden meist eher für den westlichen Markt gedreht. In älteren Produktionen wurden vor allem klassische Tanzstile gezeigt, in den modernen Filmen herrscht aber ein sehr gemischter Tanzstil vor, der einen großen Teil des Unterhaltungswertes eines Films ausmacht.
Pro Tanz werden gerne 2 bis 4 verschiedene Kostüme getragen. Tanzszenen enthalten oft auch Ortswechsel und viele verschiedene Kamera-Einstellungen. Deshalb werden nie ganze Lieder am Stück einstudiert, sondern immer nur die paar Takte, die jeweils zusammen geschnitten werden. Sonst ließen sich die manchmal in atemberaubendem Tempo getanzten Stücke, die 5 bis 8 Minuten dauern, kaum realisieren, ohne dass Make-up oder Frisur darunter leiden würden.
Die Tanzszenen sind übrigens durchaus keine reine Frauensache. Auch die Schauspieler werden unter anderem danach beurteilt, wie gut sie tanzen können und wackeln machomäßig-locker mit den Hüften. Bei Duos ist die Aufgabe des Mannes jedoch meist vor allem, die Frau gut zu präsentieren. Grundsätzlich können alle möglichen Figuren in einem Film eine Sing- und/oder Tanzszene bekommen, vom kleinen Mädchen bis zum Soldaten, von der zickigen Tante bis zum schelmischen Bruder.
Da die Zensur es verbietet, dass sich die Schauspieler küssen oder noch Unanständigeres machen, wird halt im Tanz und in den Liedtexten zum Ausdruck gebracht, worum es geht. Da sind dann auch eindeutige, suggestive Bewegungen und Gesten an der Tagesordnung. Und wenn dann die schöne junge Frau noch plötzlich in einen Regenguss kommt und der klitschnasse Sari an ihrem Körper klebt, bleibt wohl kein Wunsch mehr offen...
Es gibt aber nicht einfach "den" Filmtanzstil. Die Bewegungen hängen nicht nur von der Handschrift der einzelnen Choreografen ab, sondern auch vom jeweiligen Lied und vom allgemeinen Grundton des Films. Die Bewegungen für moderne Pop-Stücke, die den größten Teil ausmachen, könnte man grob gesagt als Mischung aus Baladi, Skigymnastik, Michael Jackson und indischer Folklore beschreiben. Es gibt aber auch Tanznummern, deren Schwergewicht mehr auf klassischem Tanz oder Folklore aus einer bestimmten Gegend liegt.
Drei Beispiele für unterschiedliche Ansätze sind Dil Chahta Hai, Lagaan und Devdas, alles Filme, die in den letzten Jahren gedreht wurden:
- Dil Chahta Hai spielt in einer modernen, westlich orientierten Umgebung, teilweise auch in Australien. Die Musik ist westlich-poppig, ebenso die Kleidung der Darsteller. Die Tänze sind sehr modern, schnell und mit einer guten Portion MTV-Stil angereichert.
- Devdas ist eine tragische Liebesgeschichte, die schon oft verfilmt wurde. In der neusten, sehr aufwändigen Produktion spielt der Film um 1930, entsprechend sind nicht nur Dekor und Kostüme üppig gestaltet, sondern auch die Musik ist klassischer als gewöhnlich, und viele der Tanzszenen sind sehr stark vom klassischen Tanzstil Kathak geprägt. In einer Nummer trägt die Heldin ein Kleid, das so üppig bestickt ist, dass es 16 Kilo wiegt!
- Lagaan spielt in einer ländlichen Gegend im Jahr 1893. Entsprechend tragen die Darsteller in einfache Bauernkleider und die Tänze haben etwas Folkloristisches an sich, wobei hier nicht alle Lieder voll durchgetanzt werden. Damit weicht dieser Film etwas vom üblichen Muster ab.
Auch innerhalb eines Filmes kommen verschiedene Musik- und Tanzstile vor. In Lagaan und Devdas wurden z.B. die Lieder von verschiedenen Leuten choreographiert, während Dil Chahta Hai ganz das Werk von Star-Choreografin Farah Khan ist. Außerdem passen sich die Tanznummern der jeweiligen Stimmung und Situation in der Geschichte an und werden auch entsprechend choreographiert.
Sehr beliebt ist es, Tanzszenen in "exotischen" Gegenden zu drehen. Aus der Sicht der Inder sind dies z.B. Schweizer Berge oder irische Landschaften. Das üppige Grün ist Sinnbild für einen paradiesischen Zustand. Es gibt aber auch Filme, in denen sie direkter in der Handlung integriert sind wie z.B. im sehr erfolgreichen Film Hum Aapke Hain Koun...! ("Wer bin ich für Dich") wo alle Tanzszenen in und ums Haus spielen. Je nach Aufwand können die Tanzszenen etwa einen Drittel des Budgets für einen Film ausmachen!
Zur "Grundausstattung" der meisten Filme gehören Liebes- und Hochzeitslieder, religiöse Stücke sowie eine Bhangra-Nummer. Ein Liebeslied kann der Moment sein, wo sich Held und Heldin das erste Mal näher kommen - es kann sich aber auch um eine Traumszene handeln, wo die Verbindung herbeigesehnt wird. Für diese Lieder ist die Musik meist etwas langsamer, das Paar schmachtet sich mehr an und tanzt weniger. Hochzeiten sind der Anlass für farbenfrohe Tanznummern mit vielen Statisten. Auch religiöse Stücke können Tanzteile enthalten - schließlich ist Indien das Land, in dem auch die Götter tanzen. Bhangra ist der Name für Musik und Tanz aus dem Punjab im Norden, die in Filmen gerne für ausgelassene Festszenen eingesetzt werden.
Außerdem gibt es noch die "verruchte Nachtclubtänzerin"-Nummern. Diese sind dann meist einfach Tanz zum Selbstzweck - früher dienten sie auch als Möglichkeit, in einem Film noch etwas mehr Haut zu zeigen. Da mittlerweile aber auch die Darstellerinnen der "guten Mädchen" ziemlich kurze Röcke tragen, ist dies nicht mehr unbedingt nötig... Musikalisch erkennt man diese Nummern daran, dass sie Sängerinnen eher tief singen, während die Stimmen der positiven Frauenfiguren durchwegs sehr hoch sind. Eine Variante in älteren Filmen sind Mujras, Tänze der Kurtisanen.
Für die Schauspielerinnen und Schauspieler ist es ganz selbstverständlich, in Filmen zu tanzen und zu Background-Musik ihre Lippen zu bewegen. Amitabh Bachchan, ein Star vom Format eines Sean Connery z.B. sagte in einem Interview, dass die Musik ein wichtiger Teil der indischen Kultur ist und man sie nicht aus den Filmen entfernen sollte. Eher sollte man mehr Leute mit dem indischen Format des Films vertraut machen. Es schade einem Held durchaus nicht, zwischendurch zu singen, wenn es die Rolle erfordere.
Neben den großen Stars bevölkern aber auch scharenweise Hintergrundtänzerinnen und -tänzer die Lied-Szenen. "Filmtänzer" ist ein Brotberuf für Tausende. Manche Choreografen haben ihre feste Truppe, die sie auch direkt bezahlen, andere stellen die Chorusline jeweils nach Bedarf zusammen.
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